Medienarchiv Günter Grass Stiftung Bremen – Sommer-Journal 2021
Grass‘ Wörter
Die Katze spricht.
Was spricht die Katze denn?
Du sollst mit einem spitzen Blei
die Bräute und den Schnee schattieren,
du sollst die graue Farbe lieben,
unter bewölktem Himmel sein.
1. Strophe des Günter Grass-Gedichts „Askese“
Verehrte, liebe Literaturfreunde,
bei Nacht sind alle Katzen grau, heißt ein Sprichwort. Aber dafür kann die Katze nichts, sondern allein der Mensch, weil sein Auge in der Dunkelheit nur unterschiedliche Grautöne wahrnimmt. Nun gut, jetzt ist Sommer, die Dunkelheit seltener, das Graue die Ausnahme. Wie der Mensch fühlt sich die Katze bei warmen Temperaturen wohl, liebt es, sich die Sonnenstrahlen auf den Pelz strahlen zu lassen. Eine besondere Beziehung zu Katzen hatte der Lyriker Erich Fried. Eines Tages, so erinnerte sich der Literaturwissenschaftler Wieland Schmied, hätten sich durch den offenen Spalt der Küchentür in Frieds Londoner Haus in wenigen Minuten vierzehn oder fünfzehn Katzen geschlängelt – als ob alle Katzen der Nachbarschaft auf diesen Moment gewartet hätten. Der Dichter stellte ihnen der Reihe nach Schalen mit Milch hin. Wieland Schmied: „So ist seine Tür immer offen gewesen, und er hat … alle aufgenommen, die zu ihm kamen, ihnen Kost, Quartier und Zuspruch gegeben, allen, die irgendwie krank, verfolgt, ohne Unterkunft waren. … An diesem Abend waren es nur Katzen.“ Auch diese Episode ist Bestandteil unserer 3D-Ausstellung „Ich soll mich nicht gewöhnen“, die Sie noch bis einschließlich 25. Juni 2021 in unserer Grass Galerie Digital erleben können. Für die letzten Tage der Online-Präsentation haben wir für Sie zwei geführte Touren zusammengestellt, um die Welt von Erich Fried zu entdecken. Sie können sich aber auch im freien Modus ganz eigenständig durch die Ausstellung bewegen:
http://www.grassgaleriedigital.de/
Als Buchstützen stehen Erich Fried und Günter Grass einträchtig beieinander; in ihren Begegnungen zu Lebzeiten ging es nicht immer freundlich und friedlich zu. Auch darüber berichtet die Ausstellung „Ich soll mich nicht gewöhnen“.
Schöne Neuigkeiten gibt es aus Stiftung und Archiv zu berichten:
— Der Senator für Kultur hat uns eine großzügige Förderung gewährt, so dass wir einen neuen, leistungsfähigen Server einschließlich seiner Bereitstellung finanzieren konnten. Dafür bedanken wir uns herzlich!
— Der Server ist sozusagen das Schlüssel-Element für das Web-basierte Medienarchiv, das in diesen Tagen online geschaltet wurde. Es soll vor allem wissenschaftlichen Zwecken dienen. Allerdings freuen wir uns auch über alle Literaturinteressierten, die neugierig sind und wissen wollen, welche audiovisuellen „Schätze“ das Medienarchiv birgt. Das neue Grass-Medienarchiv bietet künftig eine solide und zukunftssichere Basis für den „digitalen Grass & Co.“ und die damit verbundenen Vorhaben vor allem auch für die literaturinteressierte Öffentlichkeit. Als besonders wertvoll in der Neuentwicklung sei hervorgehoben, dass zusätzlich zu Medien des eigenen Datenbestands digitale Inhalte Dritter eingebunden werden könnten. Diese Verknüpfungsmöglichkeiten (API) auf der Metaebene – und später auf dem Weg zum Semantic Web – vernetzen die Informationen und dadurch mögliche Kooperationspartner.
— Glücklich sind wir über die Unterstützung eines schon konkreten Kooperationspartners, nämlich Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Der Sender gewährt uns den Zugriff auf etwa 100 TV- und Hörfunk-Produktionen zum Thema Günter Grass, die wir in unser digitales Archiv einpflegen dürfen. Eine Bereicherung!
— Um Nachsicht wird gebeten, wenn wir an dieser Stelle schon einmal auf das Ende der Sommer- und Ferienzeit zu sprechen kommen. Aber aus gutem Grund, denn am 30. September 2021 veranstalten wir – und Corona möge uns gnädig bleiben – die erste, wieder größere Veranstaltung vor realem Publikum: Der Autor und Literaturkritiker Helmut Böttiger wird aus seinem neuen, im Wallstein-Verlag erscheinenden Buch „Die Jahre der wahren Empfindung – Die 70er eine wilde Blütezeit der deutschen Literatur“ vorlesen. Merken Sie sich den Termin gerne vor: Beginn ist 19.00 Uhr, der Ort wird noch bekannt gegeben. Bis dahin eine sorgenarme, ja schöne, vor allem hoffnungsfrohe Zeit!
Das Duell bedeutender Köpfe
b Goethe oder Grass, Brecht oder Böll – wenn Sie große Dichter*innen und ihre Werke mögen, nehmen Sie am besten das „Literaten-Quartett“ mit auf ihren Sommersitz. Ein Spiel mit Spaß- und Bildungsfaktor. Wer hat den längsten Satzbau? Oder die meisten Nennungen als Straßennamen? Und: Eine der einflussreichsten Autorinnen der letzten Jahrzehnte ist ein junges Mädchen. Die Karten – voller Eistüten auf der Rückseite – lassen sich als klassisches Quartett oder als Supertrumpf spielen. Erhältlich über www.katapult-shop.de
KulTour durch’s Gras mit Grass
Grass in frischem Gras, seine Aquarelle in Obstwiesen oder sanfter Hügellandschaft – die Lübecker Museen, insbesondere das Günter Grass-Haus, haben eine wundersame Kunst- und Kulturreise durch die letzte Heimat des Literaturnobelpreisträgers geschaffen, in der sich die Realität unter freiem Himmel mit künstlich gesteuerter „Realität“ verbindet. Von Dienstag, 22. Juni 2021 an, ist eine sogenannte Augmented-Reality-App „Tour de Grass“ verfügbar, die Literatur- und Freiluftfans auf Grass-Spuren von der Hansestadt Lübeck bis nach Mölln durch das Stecknitztal entlang des Elbe-Lübeck-Kanals führt. Die Nutzung der App ist kostenlos. Sie kann in den offiziellen App-Stores abgerufen werden. Die Smartphone-App leitet zu 24 Stationen, die im Leben und Werk von Grass eine Rolle gespielt haben. Sie bereichert den Ausflug mit Geschichten und Gedichten des Dichters, Malers und Bildhauers sowie verschiedenen Augmented Reality-Anwendungen. Ein außergewöhnliches Ereignis und ein sehr empfohlener Ferien- und Freizeittipp!
Weitere Informationen unter www.grass-haus.de
Literatur in Bremen
Die ganz großen Leuchttürme gibt es in der bremischen Literaturlandschaft nicht, aber viele kleinere und sehr feine. Einer davon ist sicherlich das Literaturhaus Bremen, eine virtuelle, äußerst vitale Einrichtung. Und die Freie Hansestadt Bremen braucht solche Leuchttürme, denn es ist erklärtes Ziel der Landesregierung und Literaturschaffenden, sich um den wertvollen UNESCO-Titel „City of Literature“ zu bewerben. Das Literaturhaus mischt in vorderer Reihe mit und hat jetzt ein digitales Literaturmagazin geschaffen, das es gemeinsam mit dem Bremer Literaturkontor herausgibt
Die ganze Palette der Bremer Literaturszene darzustellen, ist das Ziel der neuen Online-Plattform, die zugleich als Literaturmagazin Bremen regelmäßig anregende Inhalte bieten will. Darin präsentieren sich Bremer Autor*innen, Verlage, Bibliotheken und Festivals sowie der Buchhandel und ganz unterschiedliche Initiativen. Darüber hinaus dient ein zentraler Literaturkalender mit Schlagwortfunktion als Kursbuch des Literaturbetriebs in Bremen, Bremerhaven und umzu; eine digitale Plattform als Schaufenster in das literarische Leben der Stadt und ein multimediales Forum, das seine Leser*innen regelmäßig mit neuen Beiträgen versorgt. Jede neue Ausgabe widmet sich einem aktuellen Themenschwerpunkt – aufbereitet in literarischen Miniaturen, Kolumnen, Audios, Buchtipps, Podcasts und Videos. Natürlich wird sich das Literaturmagazin Bremen intensiv um den Titel „City of Literature“ kümmern und die Aktionsprogramme rund um die Bewerbung begleiten. Dabei werden Verbindungen geknüpft zu den Städten, die den Titel bereits innehaben, und neue Projekte initiiert. Anspruch der Akteur*innen: Im Idealfall wächst die Bremer Literaturszene dabei noch stärker zusammen und zugleich über sich hinaus.
https://www.literaturmagazin-bremen.de